Generationen im Dialog

19. Oktober 2021

Konferenz religiöser Führer*innen über Glaube und Diplomatie

Lindau 4. bis 7. Oktober 2021

Text und Foto: Michael A. Schmiedel


Religions for Peace International, Ring for Peace (Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft) und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland luden in der ersten Oktoberwoche Vertreter*innen der RfP-Unterorganisationen Council of Religious Leaders und Youth Media Team zu einer Tagung ein. Es war die zweite Nachfolgekonferenz der 2019er Weltversammlung von Religions for Peace ebenfalls in Lindau. Religiöse Führungskräfte sind meistens schon fortgeschrittenen Alters, die Mitglieder des Jugend-Medien-Teams gehören dagegen der jüngeren Generation an, so dass dem Tagungsmotto Rechnung getragen wurde.

Zugleich befand sich die Konferenz im Spannungsfeld von Religion und Politik, genauer von Glaube und Diplomatie, denn das deutsche Auswärtige Amt verspricht sich durch die Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren eine eloquentere Umsetzung von politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungszielen. Denn anders als in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern erfreuen sich Religiosität und Religionszugehörigkeit in den Ländern des sogenannten Globalen Südens großer Beliebtheit. Somit sind religiöse Führungskräfte, wirkkräftige Multiplikator*innen für die Entwicklungsziele deutscher Außenpolitik.

Es waren vier intensive Tage, die abgesehen vom Anreisetag morgens um 8.40 Uhr mit einem multireligiösen Gebet oder eine Meditation begannen, worauf sich bis zum Abend (ab Abreisetag bis zum Mittag) Podiumsgespräche und Runde Tische anschlossen, und auch die Pausen eifrig für Gespräche genutzt wurden. Thematisch waren die Tage aufgeteilt in Eröffnung, Frieden und Sicherheit, Umwelt und Humanitarismus ((versteht jeder dieses Wort? Ich würde es zu erklären versuchen)).. Am Dienstagnachmittag gab es zudem eine feierliche Ringzeremonie an dem bei der Weltversammlung 2019 errichteten großen Holzring am Bodenseeufer, zu welchem die Konferenzteilnehmer*innen und Lindauer Bürger*innen gemeinsam gingen. Es wurden Friedensworte gesprochen und Kerzen für den Frieden entzündet.

Religiöse Verantwortung nicht nur für das je eigene ewige Heil, sondern für die menschheitliche Gesellschaft, für die Mitlebewesen auf unserem gemeinsamen Planeten, für die Zukunft dieses Planeten, der uns allen Lebensgrundlage ist, wurde vielfach beschworen, begründet und bewiesen. Das Beschwören geschah in der Form von Aufforderungen, diese Verantwortung ernst zu nehmen, die Begründung durch den Rekurs auf religiöse Schriften und Traditionen, die die Menschen diesbezüglich in die Pflicht nähmen und der Beweis durch viele Beispiele von religiösen Akteuren die ihren Mitmenschen in der Covid-Krise mit Rat und Tat unterstützend zur Seite standen, durch Dialoge Vertrauen zwischen verfeindeten Parteien wachsen ließen, durch Baumpflanzungen und Aufklärungsarbeit die Klimakatastrophe abzuwenden versuchten und vieles mehr.

Ob nun religiöse im Vergleich zu nichtreligiösen, säkularen Akteuren einmalig in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung seien oder nicht, darüber wurde recht heftig diskutiert. Die einander widersprechenden Meinungen dazu resultierten sicher aus unterschiedlichen Erfahrungen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten. Es fehlte aber auch nicht an Beispielen, in denen religiöse Akteure eher kontraproduktiv handelten, indem sie zum Beispiel einer anderen religiösen Gruppe die Schuld für Erdbeben und Cholera in Haiti zusprachen oder indem sie Tiere und Pflanzen als dem Menschen zum Gebrauch unterordneten, ohne ihnen eigene Rechte zuzusprechen. Religions for Peace Generalsekretärin Prof. Azza Karam wies auch dezidiert darauf hin, dass nicht mit allen religiösen Akteuren gleichermaßen gut zusammenzuarbeiten sei, dafür aber unter Umständen mit nichtreligiösen sehr gut.

Man muss eben genau hinschauen, mit wem man es zu tun hat, wobei seine Religionszugehörigkeit weitaus weniger wichtig ist, als seine Interpretation seiner Religion. Das Interpretationen trotz dogmatischer Widersprüche letztlich einander doch entsprechen können zeigte zum Beispiel die Rede von Mama Erde durch Vertreter*innen indigener Religionen. Dies wurde mit keinem Wort durch Vertreter*innen monotheistischer Religionen, in deren Traditionen die Erde zur Schöpfung gehört und damit keine Mutter sein kann widersprochen. Ob man die Erde in ihrer Eigenschaft als Mutter oder als Schöpfung zu bewahren, zu schützen und zu lieben vermag und die Tiere und Pflanzen als Geschwister oder Mitgeschöpfe erwies sich als herzlich zweitrangig oder überhaupt als unwichtig. Die anwesenden Menschen nahmen sich als Mitmenschen und Geschwister wahr, über alle Grenzen religiöser oder ethnischer Identitäten hinweg. Dabei wurde aber die Vielfalt dieser Identitäten nicht negiert, sondern wertgeschätzt. Das zeigt, dass solche Konferenzen, in denen Menschen sich in Präsenz oder auch virtuell begegnen, ein wichtiges Mosaiksteinchen für die weitere Gestaltung der globalen, menschheitlichen Gesellschaft sind.

Wer mehr lesen, hören und sehen möchte, wird hinter den folgenden Links fündig:

Religions for Peace International:
https://www.rfp.org/

Ring for Peace:
https://de.ringforpeace.org/ (Vor allem dort viel PR zur Tagung.)
https://vimeo.com/ringforpeace (Videos von der Tagung.)

Auswärtiges Amt:
https://www.auswaertiges-amt.de
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/kulturdialog/religion-aussenpolitik/212814
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2239074/b97244399c2026e963d1336d0aba1abf/religion-und-aussenpolitik-data.pdf (Religion und Außenpolitik)

Christian Röther. Religions for Peace – Interreligiöser Generationendialog am Bodensee. In: Deutschlandfunk. Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft am 05.10.2021: https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/10/05/religions_for_peace_interreligioeser_generationendialog_dlf_20211005_0947_a4910ff8.mp3

Michael A. Schmiedel. Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2021-1:
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/2021/10/interreligioser-rundbrief-nr-2021-1.html

Zum Begriff „Humanitarismus“ vgl. Wikipedia, Art. Humanitarismus:  https://de.wikipedia.org/wiki/Humanitarismus  und Metzler Lexikon Philosophie; Art Humanitarismus: https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/humanitarismus/902

(Alle Links zuletzt geöffnet am 15. oder 17.10.2021.)

Letzte Beiträge

Interreligiöses Trauergebet zum 7. Oktober

Interreligiöses Trauergebet zum 7. Oktober

Gemeinsam der Opfer gedenken Elemente interreligiöser Trauertexte und Gebete aus jüdischer, christlicher und muslimischer Perspektive zum 7. Oktober Interreligiöses Trauergebet zum 7. OktoberHerunterladen Vorwort Die Ereignisse, die mit den Terror-Akten der Hamas vom...

mehr lesen
Interreligiöses Netzwerk Deutschland

Interreligiöses Netzwerk Deutschland

Das „Interreligiöse Netzwerk Deutschland“ – in der Nachfolge des nach der Weltversammlung von Religions for Peace in Lindau 2019 etablierten „Netzwerkes Lindau Follow-up“ – hat das Ziel, die interreligiöse Zusammenarbeit in Deutschland durch Vernetzung und Austausch zu stärken.

mehr lesen
Neue Präsidentin des European Councils of Religious Leaders

Neue Präsidentin des European Councils of Religious Leaders

Bei dem jährlichen Treffen des European Councils of Religious Leaders (ECRL; dt.: Europäischer Rat Religiöser leitender Persönlichkeiten), das vom 16. bis 18. September 2024 in Oslo stattfand, hat Pfarrer Dr. h.c. Thomas Wipf die Präsidentschaft des Rates an Bischöfin Kari Mangrud Alvsvåg von der Diözese Borg in Norwegen übergeben.

mehr lesen
Demokratie braucht Religion! Religion braucht Demokratie!

Demokratie braucht Religion! Religion braucht Demokratie!

Prof. Dr. Elisabeth Naurath hat als Mitglied des Vorstands von Religions for Peace Europa beim Treffen der nationalen Vertretungen (European National Interreligious Bodies; ENIB) einen Vortrag unter diesem Titel zum Konferenzthema ‚Demokratie‘ gehalten. Es wurde von...

mehr lesen